Kieler Dämmerung

Rathaus


 

Am 12. November 1911 kommt der Kaiser bei strömendem Regen zur Einweihung des neuen Rathauses nach Kiel. Es ist das bis heute größte Repräsentationsgebäude der Stadt.


Das alte Rathaus am Markt genügte zum Ende des 19. Jahrhunderts den gestiegenen Anforderungen der wachsenden Stadt nicht mehr. Der Neubau sollte genügend Raum auch für die Zukunft bieten und zentrumsnah liegen. Die Wahl fiel auf ein gering bebautes Areal an der Grenze zwischen Vorstadt und Damperhof, schön gelegen am Kleinen Kiel. Der Neumarkt, das daneben liegende neue Opernhaus und weitere nahegelegene Repräsentationsbauten versprachen, ein neues, großzügiges und schönes Stadtzentrum zu schaffen.

Markantes Element und Wahrzeichen Kiels ist der 106 Meter hohe Rathausturm, der dem Markusturm in Venedig nachempfunden ist.

Im Sommer 1907 begannen die Fundamentarbeiten, im September 1911 zog die Stadtverwaltung ein. Im Zweiten Weltkrieg blieb der Turm weitgehend unversehrt, andere Gebäudeteile wurden zum Teil schwer beschädigt. Beim Wiederaufbau erhielt das Rathaus sein heutiges, schlichtes Walmdach. Die Fassade wurde originalgetreu restauriert.



Abb. A - Rathaus 1927
Abb. A - Rathaus 1927

Das Rathaus (links) mit Opernhaus und Neumarkt (heute: Rathausplatz) in einer Aufnahme von 1925. Im Hintergrund die Turmspitze von St. Nikolaus. Vorne links fehlt noch das 1927 gebaute Bankhaus Ahlmann (heute: Deutsche Bank).

Auf dem Foto sind nur der Turm und der repräsentative Mittelbau des Rathauses gut sichtbar. Das gesamte Gebäude ist sehr viel größer. Es ist ein geschlossener Ringbau mit drei Innenhöfen und einer Frontlänge von 150 Metern. Das ist um rund die Hälfte länger als das Hamburger Rathaus und fast doppelt so lang wie das Rote Rathaus in Berlin.


Abb. B - Rathaus heute
Abb. B - Rathaus heute

Das Rathaus heute.

Rechts das Opernhaus. Unter dem Rathausturm ist der Haupteingang zu erkennen. Direkt darüber liegt das Zimmer des Oberbürgermeisters. Über einen Konferenzraum und den Magistratssaal gelangt man von dort direkt in den Ratssaal (der helle Gebäudeteil mit den vier großen Fensterfronen).


Abb. 1 - Das alte Kieler Rathaus
Abb. 1 - Das alte Kieler Rathaus

Das alte Rathaus stand auf dem Alten Markt vor dem Jacobsen-Haus. Es wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Aufnahme um 1938.


Abb. 2 - Rathaus-Entwurf von Herrmann Billing
Abb. 2 - Rathaus-Entwurf von Herrmann Billing

Für das neue Rathaus schrieb die Stadt einen Ideenwettbewerb aus. Zu sehen ist der zweite Entwurf des Architenkten Herrmann Billing, auf dessen Grundlage Billing den Zuschlag bei der Ausschreibung für die Planung und Errichtung des Rathauses bekam. 

Obwohl noch reichlich Veränderungen vorgenommen wurden, ist die später realisierte Struktur des Gebäudes bereits zu erkennen.


Abb. 3 -  Bauplatz bei den Gründungsarbeiten
Abb. 3 - Bauplatz bei den Gründungsarbeiten

Der Bauplatz bei den Gründungsarbeiten, 1907. Blickrichtung nach Westen, im Hintergrund die Kirche St. Nikolaus.

Zu erkennen sind die Fundamente für den Rathausturm und zwei Dampframmen. Wegen des weichen Untergrundes mussten bis zu 14 Meter lange Pfähle hinein gerammt werden. Über Wochen hinweg litt die Nachbarschaft unter den ohrenbetäubenden Rammarbeiten. Der Direktor der nahegelegenen Gelehrtenschule beschwerte sich mehrmals energisch, doch die Arbeiten mussten weitergehen.

 


Abb. 4 - Vorbereitungen zum Richtfest
Abb. 4 - Vorbereitungen zum Richtfest

Nach zwei Jahren Bauzeit konnte 1909 Richtfest gefeiert werden.

 


Abb. 5 - Rathausturm im Bau
Abb. 5 - Rathausturm im Bau

Rathausturm im Bau.

Blickrichtung von Norden über den Kleinen Kiel. Der Fotograf dürfte vor dem Sparkassengebäude gestanden haben. Links neben dem Rathausturm das Opernhaus, rechts St. Nikolaus.

Aufnahme von 1910.

 


Abb. 6 - Ratssaal
Abb. 6 - Ratssaal

Der Ratssaal wird für die Einweihungsfeier vorbereitet. An der Stirnseite des Saals sind bereits die Stühle für die Kaiserfamilie aufgestellt.

 


Abb. 7 - Rathauseinweihung: Dauerregen
Abb. 7 - Rathauseinweihung: Dauerregen

Dauerregen am 12. November 1911, dem Tag der Einweihung. Dennoch zog es 50.000 Schaulustige zum Rathaus. Die Polizei sperrte die Route für die Kaiserliche Fahrzeugkolonne ab. In Vordergrund ist die Verbindung von Martensdamm und Neumarkt am Südende des Kleinen Kiels zu sehen.

 


Abb. 8 - Rathauseinweihung: Das Kaiserpaar trifft ein
Abb. 8 - Rathauseinweihung: Das Kaiserpaar trifft ein

Das Kaiserpaar trifft zur Einweihungsfeier ein. Die Kaiserin eilt im Regen die Treppe hoch, während der Kaiser damit beschäftigt ist, die Spalier stehenden Studenten zu grüßen.

 


Abb. 9 - Vestibül des Rathauses
Abb. 9 - Vestibül des Rathauses

Bei der Einweihung des Rathauses betritt das Kaiserpaar zunächst das Vestibül mit den beiden türkis farbenen Majolika-Säulen, die noch heute an diesem Ort stehen.

 


Abb. 10 - Wandgemälde "Tiefbau"
Abb. 10 - Wandgemälde "Tiefbau"

Vom Vestibül aus stieg das Kaiserpaar die Treppe zur Eingangshalle empor.

Seit 1912 wird die Treppe von zwei Wandgemälden des Malers  Ludwig Dettmann gesäumt. Das linke zeigt neben einem anonymen Arbeiter, eine Gruppe von vier Herren:  Stadtbaurat Maximilian Kruse (Leiter des Tiefbauamts), Oberbürgermeister Paul Fuß, Architekt Hermann Billing und Bürgermeister Paul Lindemann (v.l.n.r.).

Im Hintergrund ist der Bogen der ein Jahr vor dem Rathaus fertiggestellten Gablenzbrücke zu erkennen. Putzig ist, dass Billing mit dieser Brücke überhaupt nichts zu tun hatte.


Abb. 11 - Rotunde
Abb. 11 - Rotunde

Im Hauptgeschoss angelangt durchschritt das Kaiserpaar zunächst die Rotunde, eine kreisrunde, zweistöckige Halle mit hellem und dunklen Marmor. Damals stand hier eine Marmorbüste des Kaisers.

Im Roman merkt der Kaiser an, dass er als Einweihungsgeschenk auch so eine Büste mitgebracht habe. Das ist Fiktion, es gab nur eine Kaiserbüste im Kieler Rathaus.

 


Abb. 12 - Das obere Geschoss der Rotunde
Abb. 12 - Das obere Geschoss der Rotunde

 Das obere Geschoss der Rotunde.

Aufnahme von 2011.

 


Abb. 13 - Kaiserbüste
Abb. 13 - Kaiserbüste

 Die Kaiserbüste in der Rotunde stammt von dem Bildhauer Adolf Brütt. Sie wurde der Stadt vom Verein der Haus- und Grundeigentümer zur Einweihung geschenkt. In der Zeit der Weimarer Republik empfand man sie als unzeitgemäß, stellte sie auf Antrag der SPD-Ratsfraktion in den Keller und vergaß sie dort. 1967 wurde die Büste wiedergefunden und ins Stadtmuseum gestellt.

Aufnahme von 1967.

 


Abb. 14 - Kaisertür
Abb. 14 - Kaisertür

 Von der Rotunde aus betrat das Kaiserpaar das Zimmer des Oberbürgermeisters durch die Kaisertür. Diese Tür ist auf dem Foto nicht zu sehen. Es gibt sie nicht mehr. Sie befand sich dort, wo jetzt ein Gemälde hängt, und zwar das Porträt von Theodor Heuss, dem ersten Bundespräsidenten, gewissermaßen als Nachfolger des Kaisers.

Es heißt, die Tür sei nur für den Kaiserbesuch eingesetzt worden, deshalb habe man sie kurz nach der Einweihung wieder zugemauert.

Das Büro des Oberbürgermeisters wird jetzt über das Vorzimmer (Tür links) betreten.

Aufnahme von 2015.

 


Abb. 15 - Zimmer des Oberbürgermeisters
Abb. 15 - Zimmer des Oberbürgermeisters

Das Zimmer des Oberbürgermeisters, eingerichtet nach den Vorgaben von Herrmann Billing. Von hier aus gelangte der Kaiser auf die Terrasse über dem Vestibül.


Abb. 16 - Rathauseinweihung: Terrasse über Vestibül
Abb. 16 - Rathauseinweihung: Terrasse über Vestibül

Bei der Einweihung des Rathauses zeigt sich der Kaiser dem Volk auf der Terrasse über dem Vistebül.

 


Abb. 17 - Wandelgang vor dem Ratssaal
Abb. 17 - Wandelgang vor dem Ratssaal

Der Wandelgang vor dem Ratssaal. Am Ende des Ganges befindet sich die Rotunde.

 


Abb. 18 - Rathauseinweihung: Der Kaiser verlässt das Rathaus
Abb. 18 - Rathauseinweihung: Der Kaiser verlässt das Rathaus

Nach dem Ende der Einweihungsfeierlichkeiten verlässt der Kaiser das Rathaus. Hinter ihm Oberbürgermeister Fuß, vor ihm (vermutlich) Generaladjutant von Schenck.


Abb. 19 - Stele
Abb. 19 - Stele

Die Sandsteinstele an der Südostseite des Rathauses. Im Roman versteckte Heiner Hansen hinter dieser Stele ein Messer.


Abb. 20 - Rathausturm
Abb. 20 - Rathausturm

Der 106 Meter hohe Rathausturm.

Bei Errichtung des Turms wurden in der goldenen Kugel auf der Spitze Dokumente für die Nachwelt  hinterlassen. Direkt unter der Kugel fand man 1993 bei Renovierungsarbeiten ein Protestschreiben, das Arbeiter 1911 dort hinterlegt haben mussten. Es wurde wieder an seinen Platz zurückgelegt und befindet sich noch heute dort.

Im Roman kletterte Kalle Rupsch den Turm bis zur Spitze hinauf.