Roman
Brunos Briefe
Der fiktive Bruno Bangert ist Frontsoldat. Er schreibt Briefe nach Hause.
Sein erster und sein letzter Brief:
14. August 1914
Liebe Mutter,
lieber Vater,
liebes Schwesterchen,
alles ging Schlag auf Schlag. Tausende und abertausende Reservisten und Landwehrleute standen innerhalb weniger Tage unter Waffen, es ist ein grandioses Schauspiel. Ich bin meinem alten Bataillon zugeteilt worden und habe schon viele der Kameraden wiedergesehen. Alle sind stolz darauf, die Männer der ersten Stunde zu sein. Und auch ich empfinde nun eine heilige Ehre.
Wusstest Du, lieber Vater, dass noch im Krieg von 70/71 viele Soldaten nicht an ihrer eigentlichen Verletzung gestorben waren, sondern Tage oder Wochen später an Wundbrand? Dank des medizinischen Fortschritts ist das heutzutage anders. Wir leben in großartigen Zeiten!
Unser Korps hatte sich zuerst Richtung Lüttich bewegt. Doch als wir dort eintrafen war die Stadt bereits im Handstreich genommen. Die Front rast auf Frankreich zu, wir kommen kaum hinterher. Einige Kameraden befürchteten schon, dass der Große Krieg zu Ende gehen könnte, bevor wir Feindberührung haben würden. Doch vorgestern geschah es endlich: unsere Feuertaufe! An der Gette, 150 Tote. Jetzt ziehen wir weiter nach Mons und bald ist die Grenze zu Frankreich erreicht. Bei diesem Tempo haben wir den Sieg in wenigen Wochen errungen.
Die belgische Bevölkerung beschimpft uns und Partisanen schlagen voller Heimtücke aus dem Hinterhalt zu. Diese Menschen verstehen nicht, dass der Franzmann uns zu unserer Strategie gezwungen hat.
Mit Gott für Kaiser und Vaterland!
Euer Bruno
8. November 1915
Liebe Mutter,
lieber Vater,
wir sind in die Champagne verlegt worden, um eine Offensive der Franzosen zurückzuwerfen. Fazit: 6 Wochen Schlacht, 70.000 Tote, keine wesentliche Veränderung im Frontverlauf.
Und so läuft es ab: Wenn der Befehl kommt, kriechen wir aus unseren Gräben und rennen in das Mündungsfeuer vom Franzmann. Wer nicht mitrennt, wird von den Feldgendarmen erschossen. Wir laufen, den einen zerreißt eine Granate, den anderen trifft die Kugel. Wenn wir vor den Gräben vom Franzmann stehen, sind wir oft so wenige, dass wir uns zurückziehen müssen. Der Feind kommt hinterher und jagt uns, bis wir unsere Unterstände erreicht haben. Dann werfen wir ihn wieder zurück. Am nächsten Tag ist die Reihenfolge genauso oder vielleicht anders herum, es spielt keine Rolle. Wenn mal einer unserer Gräben eingenommen wird, ziehen wir uns in die Unterstände auf zweiter oder dritter Linie zurück und tags darauf holen wir uns unseren Graben zurück.
Liebe Eltern, in der Heimat hat sicher niemand eine Ahnung, wie es an der Front zugeht. Eure Fantasie wird nicht ausreichen, bei Weitem nicht. Habt Ihr jemals eine Fotografie von einem gefallenen deutschen Soldaten gesehen? Nein? Natürlich nicht. Sie dürfen nicht fotografiert werden. Habt Ihr jemals in einen ausgebombten Schützengraben geschaut? Die Soldaten dort sind nicht nur einfach tot. Sie liegen zwischen abgerissenen Gliedmaßen und aufgeschlitzten Bäuchen, einige röcheln noch oder schütteln sich in Krämpfen. Andere versuchen, auf Beinstümpfen aus dem Graben zu klettern. Wieder andere schreien eine ganze Nacht lang nach ihren Müttern, bis sie sterben. Aus den Nachbargräben, die noch nicht getroffen wurden, springen manchmal Männer heraus, weil sie die Schreie nicht mehr aushalten, und je nachdem, in welche Richtung sie dann laufen, werden sie vom Feind oder von den eigenen Leuten erschossen.
Gott hat uns mit mächtigen Waffen an diesen Ort geschickt und dann hat er diesen Ort verlassen.